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EU-Sozialunion

Closeup of a support hands

Die Europäische Union hat im Bereich der Sozialpolitik europaweit entscheidende Fortschritte erzielt, steht aber vor neuen grundlegenden Herausforderungen. Die Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit hat die Freizügigkeit innerhalb der EU begleitet und verwirklicht.

 

Im Bereich des Arbeitsrechts haben zahlreiche Richtlinien über den Schutz der ArbeitnehmerInnen Sicherheits- und Schutzstandards auf alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ausgedehnt. Das Niveau des technischen Arbeitsschutzes der Arbeitszeit und des Urlaubes sind – auf einer Mindestebene – europaweit modernisiert. Durch die Einrichtung europäischer BetriebsrätInnen hat auch die Interessenvertretung der ArbeitnehmerInnen in Betrieben und Unternehmen eine europäische Artikulationsmöglichkeit gefunden.

 

Jetzt muss die europäische Sozialpolitik neu gedacht werden. Eine neue Sozialpolitik ist nicht mehr primär finanzielle Unterstützung für Arbeitslose und Kranke, sondern soll einsetzen bevor Ausgrenzung und Schaden passiert. Empowerment für neue Herausforderungen und Chancen muss – anstatt rein finanzieller Risikoabdeckung – das neue nationale und internationale Ziel sein. Ein wesentlicher Faktor hierfür sind Investitionen in soziale Infrastruktur und soziale Dienstleistungen.

 

Es stellen sich Herausforderungen, deren Bewältigung schon lange auf der Agenda stehen, deren Umsetzung aber immer noch auf sich warten lässt. Das Grundproblem sozialpolitischer Initiativen auf europäischer Ebene liegt darin, dass soziale Sicherheit und Arbeitsrecht lange Zeit nur als Annexmaterien zur Verwirklichung der Grundfreiheiten gedacht wurden. Das, was Freizügigkeit, Warenverkehrsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit im Bereich des Arbeitsrechts und Sozialrechts erforderten, wurde in diesem Rahmen und mit dieser Zielsetzung schrittweise verwirklicht. Das „Soziale“ als eigenständige Dimension europäischen und politischen Handelns rückte erst spät in den Vordergrund und wurde kaum verbindlich ausgestaltet. Das lag zunächst an der fehlenden Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft für den Bereich der sozialen Sicherheit, die auch jetzt nur eingeschränkt gegeben ist, und liegt nun vor allem am Einstimmigkeitsprinzip für angleichende Vorschriften. Die Verwirklichung sozialpolitischer Zielsetzungen auf der europäischen Ebene muss daher das Einstimmigkeitsprinzip im Bereich der sozialen Sicherheit abschaffen. Auch wenn dies auf erheblichen Widerstand der Mitgliedsstaaten stößt, muss es als Vision und Zielsetzung aufrechterhalten werden, sollen die erheblichen Niveauunterschiede im Bereich der sozialen Sicherheit zwischen den Mitgliedsstaaten überwunden werden.

 

Die grundlegende Forderung an eine europäische Sozialpolitik besteht aber darin, dass sich Europa bewusst wird, dass zu große Unterschiede in den sozialen Standards der Mitgliedsstaaten die Stabilität der Union gefährden und auch die wirtschaftlichen Grundfreiheiten aus dem Gleichgewicht bringen. Das Dogma der ausschließlich nationalen Verantwortung für die Sozialpolitik kann nicht aufrechterhalten werden, wenn die Konsequenzen der unterschiedlichen Niveaus der sozial- und Arbeitsbedingungen sowohl das Funktionieren des Binnenmarkts gefährden als auch Spannungen zwischen den Mitgliedsstaaten wegen des bedeutenden Wohlstandsgefälles erzeugen.

 

Nachhaltige Sozialpolitik verlangt eine erhebliche Anhebung der niedrigen Löhne in sozialen Tätigkeitsfeldern. Zugleich wächst die Lohnspreizung aus vielen immer neuen Gründen, auch zwischen den Geschlechtern konnte sie nicht ganz ausgeglichen werden. Außerdem müssen dringend Lösungen gefunden werden, wenn es gleichzeitig einerseits Langzeitarbeitslose sowie nicht am Arbeitsmarkt verfügbare Flüchtlinge und andererseits einen eklatanten Fachkräftemangel in der EU gibt. Sozialpolitik darf dabei auch nicht vor innovativen Ansätzen zurückschrecken und muss neue Lösungen suchen. Dabei könnte man sich z.B. an Best-Practice-Beispielen aus EU-Mitgliedstaaten orientieren. Hierbei ist Pflege ein wichtiger Bestandteil einer Gesamtlösung, doch auch hier geht es nicht primär um Ganztagesbetreuung in einem Spital oder Pflegeheim, sondern um Vorbereitung auf einen Lebensabschnitt, in dem nicht mehr alles allein geht. Persönliche Betreuung primär in gewohnter Umgebung wird gewünscht. Gleichzeitig spielt das Erlernen des Umgangs mit Technologie und Innovation eine bedeutsame Rolle.

 

Mittelfristiges Ziel einer europäischen Sozialpolitik muss die Konvergenz der Sozial- und Arbeitsbedingungen in den Mitgliedsstaaten sein. Ziel ist nicht die Vollharmonisierung, das wäre angesichts der Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitgliedsstaaten völlig unrealistisch. Wesentlich ist aber, dass durch Instrumente der europäischen Sozialpolitik darauf hingearbeitet wird, dass sich die Sozial- und Arbeitsbedingungen in den Mitgliedsstaaten annähern.