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Mobilität

WindFloat Atlantic wind farm is pictured at Viana do Castelo, north of Portugal, on June 14, 2021.

Mobil zu sein ist eines unserer Grundbedürfnisse, und der Transport von Menschen und Gütern ist wesentlicher Bestandteil unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems. Gleichzeitig ist der Verkehrssektor das Sorgenkind bei der Bekämpfung der Klimakrise. Im Gegensatz zu anderen Sektoren, die ihren Treibhausgasausstoß in den letzten Jahrzehnten erheblich senken konnten, sind die Emissionen aus dem Verkehr seit 1990 um ca. ein Viertel gestiegen – in Österreich sogar um ca. 50 %. Um Klimaneutralität bis 2050 – in Österreich sogar bis zum Jahr 2040 – im Verkehrssektor zu erreichen, ist daher eine enorme Kraftanstrengung nötig.

Die Mobilitätswende ist jedoch nicht nur aus Klimaschutzgründen ein Gebot der Stunde. Klimaneutrale und ressourcenschonende Verkehrssysteme leisten einen Beitrag zur Lärmreduktion und Luftreinhaltung, verringern den Flächenverbrauch und bewahren die Biodiversität. Nicht zuletzt leistet die Mobilitätswende einen Beitrag zur Gesundheit und zur Steigerung der Lebensqualität.

Um das Jahrhundertprojekt Mobilitätswende gelingen zu lassen, braucht es drei zentrale Ansätze: Wir müssen europaweit Verkehr vermeiden und Verkehr verlagern (=Verkehrswende). Parallel dazu muss die Energiewende im Verkehr gelingen (Verbessern). Diese gelingt mit dem Phase-Out fossiler Energieträger, dem Anstieg der Energieeffizienz im Verkehrssystem und 100 % erneuerbarer Energie im Verkehr.

Die Mobilitätswende ist eine nationale, aber ebenso eine europäische Aufgabe – und nicht nur, wenn es um grenzüberschreitenden Verkehr geht. Es braucht Planungssicherheit für die BürgerInnen, die Automobilindustrie und ihre Zulieferer sowie den Transportsektor, aber auch all jene Wirtschaftsakteure, die auf Mobilitätsdienstleistungen angewiesen sind. Deshalb sind möglichst einheitliche und klare und im besten Fall europäische Lösungen gefragt. Die von der Europäischen Kommission im Dezember 2020 als Teil des Green Deal vorgestellte „Strategie für nachhaltige und intelligente Mobilität“ identifiziert zehn Leitinitiativen: von der Verbreitung emissionsfreier Fahrzeuge über die Ökologisierung des Güterverkehrs bis hin zur CO2-Bepreisung des Verkehrssektors. Im Fitfor55-Paket der EU, mit dem die Emissionsziele für 2030 umgesetzt werden sollen, sind zahlreiche mobilitätsbezogene Gesetzesvorschläge enthalten. Verhaltensänderungen sollen dadurch erleichtert werden, dass es Angebote gibt, die von den Menschen und den Unternehmen als äquivalent oder sogar attraktiver wahrgenommen werden. Ein gut ausgebauter und leistbarer öffentlicher Verkehr oder praktikable Angebote für die Güterbeförderung auf der Schiene oder auf Wasserstraßen können die Mobilitätswende beschleunigen.

Zentrale Elemente einer EU-weiten Kraftanstrengung hin zur Dekarbonisierung des Mobilitätssektors sollten sein:

Vermeiden:

Es braucht eine Trendumkehr weg vom bisherigen Verkehrswachstum des Personen- und Güterverkehrs, insbesondere bei steigenden Bevölkerungszahlen. Gelingen kann diese unter anderem durch Stärkung regionaler Kreisläufe, durch Kostenwahrheit und wegevermeidende Raumplanung, durch regulative Eingriffe wie z.B. ein Verbot der Vernichtung von Retourware im Internethandel, durch geändertes Verhalten, wie z.B. eine verstärkte Inanspruchnahme von Home-Office und nicht zuletzt durch die Digitalisierung, z.B. durch Videokonferenzen.

Ohne eine Entkoppelung von Güterverkehr und Wirtschaftswachstum kann die Mobilitätswende jedoch nicht gelingen – eine Fortsetzung der historischen Steigerungsraten in der Verkehrs- und Transportleistung ist jedenfalls mit der Klimaneutralität Europas nicht vereinbar.

Verlagern im Bereich des Personenverkehrs:

Der Modal Split im Bereich des Personenverkehrs muss sich deutlich in Richtung des Umweltverbundes (öffentlicher Verkehr und aktive Mobilität) entwickeln. Der Ausbau der Infrastruktur für den öffentlichen Verkehr, die Verbesserung des Angebots und insbesondere auch die Forcierung der Multimodalität sind zentrale Voraussetzungen für die Trendwende. Intelligente Mobilitätsservices, Shared Mobility und Flatrates für den öffentlichen Verkehr können auf nationaler Ebene einen Beitrag dazu leisten, den Anteil des Individualverkehrs zu senken. Die Realisierung neuer Nacht- und Fernzüge als Alternative zum Flugverkehr sollte auf europäischer Ebene massiv vorangetrieben werden. Notwendig ist dafür unter anderem, dass das Wagenmaterial vervielfacht wird und die Herangehensweisen in den Mitgliedsstaaten harmonisiert werden. Multimodale Reiseinformations-, Buchungs- und Fahrscheindienste müssen dringend aufgebaut und verbreitet werden. Eine EU-weite Kerosinsteuer auf fossile Energieträger und Sozialstandards für Beschäftige im Bereich der Luftfahrt schaffen faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Verkehrsträgern.

Verlagern im Bereich des Güterverkehrs:

Zukünftig müssen weit mehr Güter auf der Schiene oder der Wasserstraße transportiert werden. Dies ist insbesondere im (grenzüberschreitenden) Langstreckenverkehr sinnvoll und möglich. Der Auf- und Ausbau eines effizienten europäischen Eisenbahnraums und attraktive Angebote für den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr, z.B. in Form der EU-Schienengüterverkehrskorridore, muss hier Priorität haben. Digitalisierung, Automatisierung, Digitale Kupplung etc. müssen vorangetrieben werden. Dem kombinierten Verkehr (wie die Rollende Landstraße) und der Intermodalität sollten hier besonderes Augenmerk geschenkt werden – die bedürfnisorientierte Verknüpfung einzelner Verkehrsmittel unterstützt Unternehmen dabei, den Transport ihrer Waren zu dekarbonisieren.

Bereits die Raum- und Verkehrsplanung sollte die Voraussetzungen schaffen, um die Verlagerung der Güter auf die Bahn oder die Wasserstraße zu erleichtern, wie z.B. Anschlussgleise für große Unternehmen oder Terminals in Industriegebieten. Um den fairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern Straße und Schiene zu gewährleisten, müssen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile im Transportgewerbe beseitigt werden, dazu gehört auch die Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping.

Verbessern – Energieeffizienz und Reduktion von Emissionen:

Um eine vollständige Elektrifizierung bzw. Dekarbonisierung der Neuwagenflotte – rechtzeitig zur Erreichung der Pariser Klimazeile – zu ermöglichen, müssen die europäischen CO2-Flottengrenzwerte weiter reduziert werden. Die Anreize für Hersteller, Nullemissionsfahrzeuge auf den Markt zu bringen, sollten verstärkt und weiterentwickelt werden. Dies betrifft nicht nur den PKW-Sektor, sondern besonders auch schwere Nutzfahrzeuge und insbesondere Busse. EU-weite Festlegungen, die CO2-Emissionen von Neuwagen ab dem Jahr 2035 auf Null zu setzen, schaffen Planungssicherheit für die europäische Automobilindustrie und zeigen einen klaren Weg zur Dekarbonisierung des Straßenverkehrs auf.

Begleitet muss dies vom Ausbau der Infrastruktur für emissionsfreie Fahrzeuge entlang der nationalen und transeuropäischen Hauptverkehrsachsen werden sowie von einer Vereinheitlichung der Energieinfrastruktur, mit transparenten und fairen Preisen. Die Möglichkeiten, die die Digitalisierung bietet, um Verkehrsflüsse zu optimieren, sollen ausgeschöpft werden – z.B. Telematik oder Peak pricing. Auch der Schienen- und der Schiff- sowie Luftverkehr müssen dekarbonisiert werden. Weil emissionsfreie Technologien aus heutiger Sicht nicht alle Anwendungen, insbesondere in der Schiff- und Luftfahrt, abdecken können, braucht es erneuerbare synthetische Treibstoffe sowie innovative Antriebssysteme basierend auf Wasserstoff und Batterie.

Die Mobilitätswende ist conditio sine qua non, um Europa 2050 klimaneutral zu machen. Um sie zu erreichen, gilt es die Innovationskraft der europäischen Unternehmen zu stärken und die wirtschaftlichen Chancen umweltfreundlicher Mobilität zu nutzen – damit wir spätestens 2050 mit einem nachhaltigen, klimaneutralen, sicheren, resilienten, gendergerechten, sozialen und wirtschaftsverträglichen Mobilitätssystem leben und wirtschaften können.