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Kreislaufwirtschaft

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Der Green Deal ist das wohl anspruchsvollste und ambitionierteste Programm der derzeitigen EU-Kommission mit Ursula von der Leyen an der Spitze. Im Mittelpunkt der Diskussion steht verständlicherweise der Kampf gegen den Klimawandel. Viele Initiativen wie Fridays for Future haben dazu beigetragen, viele Millionen Menschen sind aktiv an diesem Prozess beteiligt. Der Green Deal ist aber mehr. Er ist ein fundamentales Reformkonzept, um unser Wirtschaftssystem in Richtung Nachhaltigkeit umzubauen.

Der Green Deal basiert auf 3 Säulen:

  1. null Netto-Emissionen von Treibhausgasen bis 2050
  2. Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppeln
  3. soziale Verträglichkeit für BürgerInnen und Regionen sichern

Oder übersetzt: ökologisch verträglich, wirtschaftlich erfolgreich und sozial ausgewogen – das ökosoziale Grundprinzip.

Dieser Beitrag beschäftigt sich im Besonderen mit der zweiten Säule des Green Deal, der Entkoppelung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch – also der Kreislaufwirtschaft.

Die Kreislaufwirtschaft ist ein Modell der Produktion und des Verbrauchs, bei dem bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich „recycelt“ werden und damit der Lebenszyklus verlängert wird. Das bedeutet, dass Abfälle auf ein Minimum reduziert werden. Nachdem ein Produkt das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat, verbleiben die Ressourcen und Materialien so weit wie möglich in der Wirtschaft. Sie werden also immer wieder produktiv weiterverwendet, um weiterhin Wertschöpfung zu generieren.

Innovationen – wie neuartige Recyclingtechnologien oder alternative Rohstoffe – sind daher essenziell, um die Kreislaufwirtschaft weitmöglichst umzusetzen und unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Denn die Rohstoffgewinnung und die Verarbeitung von Materialien, Brennstoffen und Lebensmittel sind verantwortlich für etwa 50 % der weltweiten Treibhausgasemissionen und zu etwa 90 % verantwortlich für den Verlust der biologischen Vielfalt und der Wasserknappheit.

Der Ressourcenverbrauch hat sich in den letzten 50 Jahren verdreifacht und nimmt weiter zu. Europa hat einen überproportionalen Anteil am Ressourcenverbrauch und damit auch eine höhere Abhängigkeit als andere Regionen. Gleichzeitig werden in Europa nur ca. 12 % der wertvollen Rohstoffe wiederverwendet, der Rest landet auf Deponien oder in Verbrennungsanlagen.

Die Klimakrise hat uns die dringliche Notwendigkeit der raschen Implementierung der Kreislaufwirtschaft drastisch vor Augen geführt. Sie ist eine Grundvoraussetzung zur Erreichung der Klimaziele im vorgesehen Zeitrahmen bzw. der Zwischenschritte bis 2050.

Die COVID-19-Pandemie hat aber einen wesentlichen anderen Aspekt der Kreislaufwirtschaft deutlich gemacht: die fatale Abhängigkeit der EU von Lieferketten bzw. von Rohstoffimporten. Das Konzept der „Strategischen Autonomie” und der zielgerichtete Mitteleinsatz des Wiederaufbauplans waren die richtigen Antworten der EU. Es wäre klug, anstatt der „Strategischen Autonomie” eine „Strategische Verantwortlichkeit” zu entwickeln – auch als aktiven und konstruktiven Beitrag zur Stärkung der Rolle der EU in der Welt.

Dramatisch hat uns der Krieg Russlands gegen die Ukraine nun vor Augen geführt wie verletzlich unsere Wirtschaft und Gesellschaft durch die massive Importabhängigkeit von fossilen Energieträgern, Rohstoffen sowie Nahrungs- und Futtermitteln ist. Die zeitliche Dringlichkeit des Umstiegs auf erneuerbare Energien sowie die vordringliche Umsetzung des Maßnahmenpakets Kreislaufwirtschaft werden gerade jetzt spürbar. Spürbar nicht nur aus Sicht des Klimaschutzes, sondern vor allem auch aus Sicht einer stabilen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung. Die Rohstoff- und Energiekosten werden strukturell deutlich höher sein und bleiben und damit die Produktionskosten und Preise für die KonsumentInnen erhöhen – besonders für sozial Schwächere und ärmere Weltregionen. Die Kreislaufwirtschaft hat daher ökologische, ökonomische und soziale Dringlichkeit.

Die EU-Kommission hat dem Europäischen Parlament einen Aktionsplan vorgelegt, welcher – mit einigen Änderungen – mit großer Mehrheit angenommen wurde. Er enthält Vorschläge für eine nachhaltigere Produktgestaltung und zielt darauf ab, das Abfallaufkommen zu verringern und den Verbraucherschutz zu stärken, beispielsweise durch ein „Recht auf Reparatur“. Der Schwerpunkt wird auf ressourcenintensive Bereiche gelegt, wie Elektronik und IKT, Kunststoffe, Textilien und Bauwesen.

Die drei wesentlichen Säulen

  1. Entkoppelung von Wirtschaftswachstum und Energie- bzw. Ressourcen-verbrauch
  2. Langfristige Stärkung einer wettbewerbsfähigen europäischen Wirtschaft
  3. Stärkung des Wissens und der Rechte der KonsumentInnen

sollten aber um den Punkt

  1. Stärkung der Innovationskraft und Nutzung der Digitalisierung

erweitert werden.

Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft entlastet nicht nur die Umwelt, sondern erhöht die Rohstoffversorgungssicherheit, steigert Europas Wettbewerbsfähigkeit und würde auch einen echten „Boost“ für die Innovationskraft bedeuten.
Der Aktionsplan will zudem bis 2030 700.000 neue zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen.

Bei der Umsetzung sind aber einige weitere unverzichtbare Punkte zu beachten:

  • Jede Förderung – ob der EU oder national – muss nicht nur den Zielen des Klimaschutzes Rechnung tragen, sondern auch den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft – genauso wie jede öffentliche Auftragsvergabe.
  • Ähnlich wie eine CO2-Bepreisung könnte auch die Bepreisung von knappen Rohstoffen richtige Marktsignale geben. Eine Grenzbesteuerung für knappe Ressourcen könnte den Transformationsprozess wesentlich beschleunigen.
  • Richtlinien für Produktdesign müssen konkrete Vorgaben hinsichtlichEnergie- und Rohstoffeffizienz, Wiederverwertbarkeit, Lebensdauer und Reparaturfähigkeit enthalten.
  • Bei Innovationen, wie etwa der E-Mobilität, ist nicht nur eine Energiebilanz, sondern auch eine Rohstoffbilanz zu erarbeiten. Diese muss neben den oben angeführten Kriterien vor allem auch die Herkunft bzw. die Verfügbarkeit von Rohstoffen innerhalb der EU enthalten.
  • Besonderes Augenmerk muss auf den Nahrungs- und Futtermittelsektor gelegt werden. Die Produktionskapazität einer nachhaltigen und effizienten Landbewirtschaftung ist in Europa NICHT ausgeschöpft. Chancen ergeben sich vor allem für bisher wirtschaftlich schwächere Regionen der EU. Der vorgelagerte Sektor – die Lagerhaltung und die Logistik – muss miteinbezogen werden, um das Konzept „Vom Hof auf den Teller“ möglichst effizient und daher möglichst verlustfrei umzusetzen.
  • Für KonsumentInnen müssen die Informationen verständlich zu Verfügung stehen, ähnlich wie ein Energieausweis für ein Gebäude sollte ein „Kreislaufausweis“ für Produkte entwickelt werden.
  • Internationaler Abfallhandel ist so weit wie möglich zu begrenzen und jedenfalls vollständig meldepflichtig zu gestalten.
  • Für besonders innovative und daher risikoreiche Investitionen, etwa bei Rohstoffrecycling aus bestehenden Deponien oder für technologisch besonders aufwendige Verfahren sollten öffentliche Garantien private Investitionen erleichtern.
  • Ein besonderer Forschungsschwerpunkt sollte den Themen Wertschöpfungskette und Kreislaufwirtschaft als horizontale Wissenschaftsanwendung ähnlich der Ethik der Digitalisierung gewidmet werden.
  • In allen Bildungsebenen sollte ein Lehrprinzip „Folgen meines Konsumverhaltens” entwickelt werden und im Bildungs- und Ausbildungswesen angewandt werden.

Dies sind nur einige Anregungen zur rascheren Umsetzung des Prinzips der Kreislaufwirtschaft, viele weitere müssen noch folgen.

Manches wäre rasch und einfach zu lösen: Warum zum Beispiel werden in österreichischen Regalen Bio-Äpfel trotz Plastikverbotes einzeln mit einem Kunststoffetikett beklebt? Warum führen „Reparaturzentralen” nach wie vor ein Nischendasein und werden dem Sozialbereich zugeordnet? Warum werben viele Supermärkte nach wie vor mit unterpreisigen Lockangeboten für Produkte, die den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft nicht gerecht werden?

Das Prinzip Kreislaufwirtschaft fordert nämlich nicht nur die Politik auf europäischer und nationaler Ebene, nicht nur die Wirtschaft und Wissenschaft, sondern vor allem auch die einzelnen BürgerInnen. Von langlebigeren und innovativeren Produkten würden wir alle zeitgleich enorm profitieren.