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Transatlantisches Verhältnis

The Flag of Europe on military uniform. Collage.

Diejenigen, die einander sehr ähnlich sind, legen großen Wert darauf, sich voneinander zu unterscheiden (der Narzissmus der kleinen Unterschiede, von Sigmund Freud). Das gilt auch für die Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa. Jede der beiden Seiten versucht, die eigene Identität dadurch zu festigen, dass man die – objektiv betrachtet nur kleinen – Unterschiede betont, die einen von der anderen Seite trennen. Das zieht sich sowohl durch die amerikanische wie auch die europäische Geschichte. Es findet Niederschlag schon in den Texten, welche die Nationswerdung der USA dokumentieren. Ähnlich um Unterscheidung bemüht war man auch auf europäischer Seite. Man dünkte sich besser als das angeblich kultur- und seelenlose, krass materialistische Amerika.

 

Diese Suche nach unverwechselbarer Identität überdeckt aber ein gewaltiges Ausmaß an transatlantischer Gemeinsamkeit, die es erlaubte, den transatlantischen Raum als eine kulturelle, ideologische, politische, wirtschaftliche und militärisch-strategische Einheit zu verstehen. Diese breite Gemeinsamkeit erklärt, weshalb in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Übergang zu einer amerikanischen Hegemonie ein relativ friktionsfreier und gleichsam natürlicher war, und weshalb es möglich war, nach 1945 in transatlantischer Zusammenarbeit die Stützen des Weltsystems – wie die Vereinten Nationen und die Bretton Woods Institutionen – zu zimmern.

 

Die nunmehr abnehmende relative Macht der transatlantischen Region – und die seit Jahrzehnten andauernde Verlagerung der globalen Wertschöpfung vom Nordwesten nach Süd-Osten – hat zu einem mehrpoligen, labilen Weltsystem geführt; schwächt das Vertrauen, und die Mitarbeit an einer Weltordnung, in der die unvermeidliche gegenseitige Abhängigkeit durch internationale Organisationen, durch das Völkerrecht und durch den Willen zu Zusammenarbeit erträglich gemacht und verwaltet werden kann.  Das bedroht die Welt insgesamt, und damit auch Europa und Amerika. Eine verlässliche Stärkung der transatlantischen Gemeinsamkeit liegt also im Interesse nicht nur Europas und Amerikas. Diese liegt auch im Interesse der übrigen Welt.

 

Die transatlantische Zusammenarbeit ist von außen bedroht, vornehmlich von China und Russland. Beide trachten, zwischen den USA und Europa Zwietracht zu säen. Für beide stellt sich Amerika als der Hauptfeind dar. Jedenfalls China, wahrscheinlich aber auch Russland versuchten und versuchen, Europa auf die jeweils eigene Seite zu holen. Am afrikanischen Kontinent – und in geringerer Weise auch in anderen Weltregionen – treffen die USA und Europa als Konkurrenten um lokalen Einfluss, Ressourcen, Handelsmöglichkeiten und Kulturexport aufeinander.

 

Weit grundsätzlicher als durch China und Russland ist die transatlantische Gemeinschaftlichkeit allerdings durch nationalistisch/populistische Kräfte sowohl in den USA wie auch in Europa selbst bedroht. Diese politischen Kräfte nähren sich aus Misstrauen gegenüber den Eliten, dem Misstrauen gegenüber Allen, die ihnen unähnlich sind. Sie fordern nationale Autarkie und damit eine Rückabwicklung von europäischer Integration und transatlantischer Zusammenarbeit.  So scheint es irgendwie logisch, dass der frühere national–populistische US-Präsident Donald Trump Europa zum „Feind“ erklärt hat, und die NATO als „obsolet“. Dem entspricht in Europa ein viszeraler Antiamerikanismus; vornehmlich in den extremen rechten oder extremen linken Sektoren der Politik. Selbst noch heute und unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine neigt man an diesem extremen Ende der Politik dazu, eher Putin zuzuhören als dem amerikanischen Präsidenten.

 

Was soll also getan werden, um die transatlantische Region durch eine verlässlichere und sichere Zusammenarbeit zu stärken?

Im militärisch/sicherheitspolitischen Bereich geht es um einen neuen Pragmatismus in der Diskussion, ob nun der militärischen europäischen Zusammenarbeit Vorrang vor der Zusammenarbeit in der NATO eingeräumt werden soll, oder umgekehrt der NATO-Vorrang vor den europäischen Versuchen, sich auch militärisch stärker zu konsolidieren. Der Krieg in der Ukraine – der ja auch ein Krieg gegen Europa ist – hat die zentrale sicherheitspolitische Bedeutung der NATO unter Beweis gestellt. Der Krieg hat aber auch dafür gesorgt, dass neben der NATO und in Ergänzung zur NATO auch die Stärkung einer gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik ernsthaft in Angriff genommen wird. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte haben Europa gelehrt, nicht in allen Fällen auf den militärisch/sicherheitspolitischen Führungsanspruch der USA zu vertrauen, sondern sich um die Fähigkeit zu bemühen, auch eigenständig operieren zu können.

Die eskalierende Spannung in den transpazifischen Beziehungen zwischen den USA und China motivieren Europa ebenfalls zu einer gewissen Distanz und zu einer gewissen sicherheitspolitischen Eigenständigkeit gegenüber den USA. Die EU hat darüber hinaus in einem komplexen und schwierigen strategischen Dialog mit China eine Fülle an Zielsetzungen für sich selbst definiert, die von Menschenrechten bis Klimawandel reichen und in den einschlägigen EU-Prozessen unter den Kategorien Zusammenarbeit, Konkurrenz, systemische Rivalität behandelt werden.

Über weite Strecken teilt Europa die meisten amerikanischen Sorgen über die Politik Chinas. So etwa die Sorge über die chinesische aggressive Aneignung fremder Technologie, oder über die systemwidrige Unterstützung von privilegierten chinesischen Unternehmen. Den USA und Europa gemeinsam ist auch die Ablehnung des chinesischen Politiksystems mit seiner Missachtung von Menschenrechten und dem bedenkenlosen Einsatz von Artificial Intelligence zur totalen Überwachung der Bevölkerung. In all diesen Gebieten ist ein gemeinsames transatlantisches Vorgehen nicht nur nützlich, sondern auch möglich.

Aber diese Gemeinsamkeit findet wohl eine Grenze, wo sich militärische Eskalation zu verselbständigen droht. Während China und die USA einander im Pazifik auch als potentielle Konfliktparteien in einer bewaffneten Auseinandersetzung gegenüberstehen, spielt die militärische Feind-Wahrnehmung in den Beziehungen zwischen der EU und China, wenn überhaupt, lediglich eine untergeordnete Rolle. Die Intensivierung der militärischen und Verteidigungs-Beziehungen zwischen EU und USA im Zusammenhang mit dem russischen Überfall auf die Ukraine machen es wahrscheinlich, dass die USA in den verschiedensten Bereichen von der EU erwarten bzw. fordern wird, dass sie sich erkenntlich zeige. Dies könnte auch bedeuten, dass Europa gedrängt wird, auch im Hinblick auf US-Interessen im indopazifischen Raum mehr Solidarität mit den USA zu zeigen, was die EU-Beziehungen zu China beeinträchtigen müsste.

Immer noch sind die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen der EU und den USA extrem dicht. Bilateral sind die EU und die USA füreinander die wichtigsten Außenhandelspartner, mit einem hohen gemeinsamen Handelsvolumen und einem hohen Anteil von Transaktionen innerhalb von Wertschöpfungsketten. Eine wichtige treibende Kraft sind die amerikanischen Direktinvestitionen in Europa, die zweieinhalb so groß sind wie jene in die asiatisch-pazifische Region.

 

Protektionistische Trends – vor allem in der Ära des US-Präsidenten Donald Trump – streuten allerdings Sand in das Getriebe der transatlantischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit.  Präsident Joe Biden war vordringlich bemüht, solche Hindernisse auszuräumen. Im März 2021 wurde der Streit um die Subventionierung der Flugzeugproduktion von Airbus und Boeing beigelegt. Ende Oktober 2021 kam es zu einem gemeinsamen Beschluss zum Abbau der gegenseitigen Zollhindernisse, die zur Sanktionierung europäischer Stahl- und Aluminiumimporte aufgebaut worden waren. Von zukunftsträchtiger Bedeutung ist die Einrichtung des EU/US Trade and Economy Councils. Diese Institution soll zu einem gemeinsamen Vorgehen in der Entwicklung neuer Technologien und zu deren vernünftigen Regelung beitragen. Die Dichte der weit über das Wirtschaftliche und Militärische hinausgehenden Beziehungen symbolisiert die Zahl und Kapazität der transatlantischen Glasfaserkabel. Keine zwei anderen Weltregionen sind auf diese Art so eng miteinander verbunden.

 

Zuletzt und wohl am wichtigsten: Diese beiden Regionen sind das Kernland der Demokratie und der Menschenrechte. Versuche, Demokratie gewaltsam zu exportieren, sind fehlgeschlagen und waren zumeist kontraproduktiv. Jetzt geht es um den Beweis, dass Demokratie dort – in ihrer ursprünglichen Heimat – besser als alle anderen Systeme funktioniert und besser im Stande ist, den BürgerInnen Würde und ein gutes Leben zu sichern. Trotz beachtlicher Unterschiede zwischen den amerikanischen und den europäischen politischen Institutionen und den unterschiedlichen sozialen und wirtschaftlichen Modellen, müssen sich die Partner auf beiden Seiten des Atlantiks dieser vor allem innenpolitischen Aufgabe stellen.

 

Daraus ergeben sich folgende konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Die EU sollte die Strukturen, die in der seinerzeitigen Transatlantic Agenda zur Absicherung der engen Zusammenarbeit zwischen EU und USA entworfen wurden (wie ein jährliches Gipfeltreffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten und der EU-Spitze, regelmäßige Treffen auf parlamentarischer Ebene, strukturierte Begegnungen auf Ebene der Zivilgesellschaft), überarbeiten und mit neuen Elementen anreichern, insbesondere in Richtung transatlantischer Wirtschaft.
  • In diesem Kontext und mit dem Ziel, für bessere Information und mehr Verständnis zu sorgen, sollte die Europäische Union ein Besuchsprogramm etablieren, das in etwa dem Visitors Program des State Department entspricht, und jungen aufstrebenden PolitikerInnen bzw. MitarbeiterInnen von PolitikerInnen die Möglichkeit gibt, die EU und ihr Funktionieren von innen zu erleben. Dabei sollte die Zeit zwischen einem Studienaufenthalt in Brüssel und einem Aufenthalt in einem der Mitgliedstaaten geteilt werden.
  • Sowohl für die USA als auch die EU ist die Aufrechterhaltung einer auf Völkerrecht, Menschenrechte und friedlicher Konfliktbeilegung beruhenden internationalen Ordnung essenziell. Diese grundlegenden Prinzipien werden im globalen Rahmen zunehmend in Frage gestellt. In ihrer transatlantischen Partnerschaft müssen die USA und die EU in enger Abstimmung für die Stärkung der internationalen Organisationen sorgen und in ihren Beziehungen zu Drittstaaten das Bekenntnis zu dieser globalen Ordnung sicherstellen.
  • Die EU soll sich von den USA nicht in der Gestaltung ihrer Beziehungen zu China einengen lassen, sondern dem eigenen strategischen Interesse entsprechend handeln und den eigenständigen Weg gegenüber Peking auch in Washington entsprechend vertreten. Dabei müssen die Bemühungen, China in die Stärkung einer regelbasierten internationalen Ordnung einzubeziehen, mit den wirtschaftlichen Interessen Europas in Einklang gebracht werden.